Archiv für die ‘Görlitz-Zgorzelec’ Kategorie

Feierabend: ich steuere auf Klingewalde nördlich von Görlitz zu. Dort erwarten mich Eberhard und seine Frau Helga. Ein Treffen, das sich am Mittag an einem Scheideweg ergeben hat.

Als ich am Ortsausgang von Ostritz am Straßenrand meinen Kurs überprüfte, hat Eberhard mich angesprochen um mich zu fragen, ob ich schon ein “Quartier” - das heißt eine Unterkunft - hätte, wo ich die Nacht verbringen könnte. Und ich erklärte ihm, dass ich jedes Mal versuche, die Nacht bei Einheimischen zu verbringen, um so die Gegend besser kennen zu lernen usw. usw. Eberhard sagt mir, dass er mit seiner Frau eine Pension betreibe, dass ich ohne Probleme mein Zelt bei ihnen im Garten aufschlagen könne und dass in der Pension sowieso Zimmer frei wären. Kurz, ich bin willkommen! Unglaublich, als ob dieser Eberhard vom Himmel gefallen sei!

Als ich in Klingewalde angekommen bin, werde ich königlich empfangen: wir verbringen den Abend zu dritt bei einem Glas Wein und diskutieren, teilen unsere jeweiligen Erfahrungen. Helga und Eberhard interessieren sich für den Veloblog, wir schauen zusammen die Fotos an. Sie begeistern sich für das Projekt und raten mir, zur Sächsischen Zeitung und zu Radio Lausitz zu gehen, um den morgigen Tag anzukündigen: ein Ratschlag, der sich als nützlich erweisen wird… Danach sprechen wir über die Tour de France, Eberhard ist Zweiradfan. Als “Kind von Görlitz” kennt er die Gegend bestens, sowohl die deutsche als auch die polnische Seite, denn er hat sie mit dem Rad durchfahren. Und es beginnt ein Gespräch über Schlesien, seine Geschichte und seine Kultur. Helga arbeitet in der Verwaltung des neuen Schlesischen Museums in Görlitz!

Dort kann man alles Revue passieren lassen: die alten Schlesier, die sich nach Polen begeben, um zu sehen, was aus ihren Häusern geworden ist, in denen sie wohnten, bevor sie 1945 vertrieben wurden, sowie die anderen, die dem Museum das spenden, was ihnen von einst geblieben ist.
Und dann sprechen wir über das Schlesische Porzellan, die Motive und das Blau der Bunzlauer Keramik, nach der die Amerikaner so verrückt sind. Helga schenkt mir eine Ausgabe des Magazins “Schlesischer Kulturspiegel”, in dem die Geschichte des schlesischen Porzellans erläutert wird. Von den vierzig Unternehmen, die zwischen 1820 und 1945 Porzellan “von Qualität und zu annehmbaren Preisen” produzierten und bis zu 1000 Personen beschäftigten, sind heute nur noch zwei Betriebe in Waldenburg übrig. Aber das Interesse an besagtem Porzellan besteht noch immer, erklärt Helga. Darum wird das Schlesische Museum Ende Oktober eine Ausstellung zum schlesischen Porzellan eröffnen, die danach in verschiedenen anderen Museen in Deutschland und Polen gezeigt wird.

Es gibt so viel zu sehen und zu lernen… ja, ich muss wiederkommen!



Nachdem ich mich mit der Partnerorganisation “Wir°My” getroffen habe, um die letzten Vorbereitungen für die Rallye in Görlitz-Zgorzelec zu treffen, mich in der Neißegalerie vorgestellt habe und beim Flyer Verteilen mehrfach die Frage zu hören bekam “Sind Sie die Französin von der Zeitung?”, sitze ich jetzt einem jungen Kommunikationstrainer gegenüber, Jörg Heidig, Diplom-Kommunikationspsychologe und Mitarbeiter des Instituts für Kommunikation, Information und Bildung” in Görlitz.

Der junge Intellektuelle war mir von Rebecca empfohlen worden - meiner ersten Gastgeberin in Großhennersdorf - weil er gerade seine Doktorarbeit darüber schreibt, wie sich Deutsche, Polen und Tschechen selbst und gegenseitig einschätzen. Der Blick des Anderen auf den Anderen in der Euroregion Neiße, auf Grundlage einer Stichprobe von fünfzehn bis zwanzig Personen pro Land. “Mein Ziel ist es, das Verständnis und damit die Kommunikation zwischen den drei Ländern zu verbessern”, so Jörg Heidig. “Im Moment gibt es zwar Kooperationen, aber die sind mehr oktroyiert als spontan.”

Derzeit steht er am Anfang der Empiriephase seiner Dissertation und befragt die Deutschen über ihr Bild von sich selbst, den Polen und den Tschechen. “Man findet wirklich die alten Stereotypen wieder, wie etwa, dass die einen wie die anderen arm, aber herzlich und gastfreundlich sind. Viele Deutsche fühlen sich den Tschechen näher als den Polen. Vielleicht, weil die Tschechen lange im deutschen Sprachbereich gelebt haben”, meint Jörg Heidig.

Nach den ersten Interviews scheint der EU-Beitritt Polens und Tschechiens im Mai 2004 zwiespältig beurteilt zu werden. “Die einen finden es gut, seit der EU-Erweiterung weniger am Rand zu leben, die anderen fürchten einen Anstieg der Kriminalität, des Drogenhandels und der Autodiebstähle.” Und auf die Frage, ob eines Tages die Grenze verschwinden wird, bekommt er oft ein Nein, denn die Sprachbarriere bleibe ja sowieso…



Jul
19
Einsortiert unter (Lech, Zgorzelec, Görlitz, Görlitz-Zgorzelec, Allgemein) von traduction.allemand am 19.07.2007

…war ein Lech, ein kleines, da die Sonne heiß brannte!

Zusammen mit den drei polnischen Radfahrern, die ich unterwegs getroffen habe, bin ich in Zgorzelec angekommen. Es sind Mirek und seine Kollegen von der Notaufnahme eines Krankenhauses in Zgorzelec. Ich stottere ein bisschen auf polnisch und lerne, dass Lech, dessen riesige 0,66l-Flaschen praktisch an jeder Ecke serviert werden, aus Poznan kommt.



Kleine organisatorische Pause: schließt Euch für eine Weile dem Veloblog an, in der Doppelstadt Görlitz-Zgorzelec, dort erwartet Euch ein furioses Programm (mit einem kleinen Klick oben links auf “Detailliertes Programm” erfahrt Ihr mehr). Alles ist kostenlos, aber kleine, liebevoll zubereitete Speisebeiträge sind sehr willkommen… für das Selbstversorgerbuffet des Abends!

Bemerkenswert: Elkin und Barbara, die ich in Großhennersdorf getroffen habe (siehe den Artikel über das Begegnungszentrum), kommen auch und werden eine Pantomimevorführung zum Thema “Grenze” darbieten…

Mehrere der Menschen, die ich auf der Reise getroffen habe, von den Schweizern aus Zittau bis zum Dönermann aus Ostritz, werden auch da sein… Also warum nicht auch Ihr?

Treffpunkt im Forum der Website für Fahrgemeinschaften und geteilte Bahntickets.

Gute Fahrt und bis bald: Ich muss mich jetzt auch auf den Weg machen.



Jul
18
Einsortiert unter (Bahnhof Ostritz, Züge, Schengen, Ostritz, Grenzübergang, Görlitz-Zgorzelec, Zittau, Allgemein) von traduction.allemand am 18.07.2007

Uwe Rada hatte es mir ja gesagt: Der Bahnhof Ostritz ist ein deutscher Bahnhof auf polnischem Territorium. Was auch immer das heißt…

Entschlossen, mehr darüber zu erfahren, bin ich dorthin gefahren, um mit den Grenzbeamten zu sprechen. Der eine ist Deutscher, der andere Pole: Das ist der “one-stop”, erklären sie mir, eine gemeinsame Kontrolle, die allen Beteiligten Zeit spart - und das für den Zolldienst vorgesehene Budget beider Staaten entlastet.

Beide sind mit der Überwachung der kleinen Fußgängerbrücke über die Neiße betraut, die Ostritz mit seinem Bahnhof verbindet, der seit 1945 und der neuen Grenzziehung in Polen liegt. Ironie der Geschichte. “Unglaublich, aber wahr, auch hier muss sich Deutschland um den Grenzschutz kümmern. Wir sind hier für eine der berüchtigten Außengrenzen des Schengener Raums zuständig”, erzählt mir der deutsche Beamte nicht ohne eine gewisse Bosheit in den Augen. “Wir kontrollieren hier, um sicher zu sein, dass keine Rumänen oder Ukrainer einfach so in den Schengener Raum herein kommen.” Und er fügt hinzu, dass ab Herbst 2008 Polen die Verantwortung übernehmen wird. “Wir werden den Kollegen gerne noch ein wenig länger helfen, bis alles in Gang gekommen ist.”

Die wichtigste Aufgabe dieser Herren besteht darin, die Passagiere zu kontrollieren, die zwischen Bahnhof und Stadt hin- und hergehen. Denn die deutschen Züge, die seit mehr als 130 Jahren durch das Neißetal zwischen Zittau und Görlitz fahren, kümmern sich herzlich wenig um die Grenze und halten eben auf polnischem Boden, um den Bahnhof von Ostritz anzufahren. Mit dem Ergebnis, dass die Passagiere sowohl beim Ein- wie auch beim Aussteigen kontrolliert werden.

Glaubt also nicht, ihr könntet auf die letzte Minute noch in den Zug springen, sondern rechnet lieber ein paar Minuten mehr ein, um diese Absurdität kennen zu lernen und das Konzept der aufgelösten Grenze im Schengener Raum zu relativieren.



Im “Begegnungszentrum im Dreieck“, um genauer zu sein, noch so ein Wahnsinnsprojekt! Ich beginne zu begreifen, dass Großhennersdorf ein sehr besonderes Dorf ist, mit gewissem kulturellen Wetteifer… und ich frage mich, ob ich es wirklich eines Tages auf dem Fahrrad verlassen werde, denn Rebecca hört einfach nicht auf, mir immer neue Leute mit immer interessanteren Initiativen und Projekten vorzustellen.

Diesmal sind wir auf einem alten Bauernhof in der typischen Bauweise der Region, in den 90er Jahren gerettet vor dem Verfall. “Die Gebäude wurden aufgekauft, und wir haben fast zehn Jahre gebraucht, um sie zu renovieren”, erzählt Mechthild, die in erster Linie für die Theaterworkshops der Jugendlichen verantwortlich ist. “Internationale Workcamps und dann, seit 1997, die Mithilfe von Zivis hat uns erlaubt, die Arbeiten fertig zu stellen.” Und das hat sich gelohnt, das Gebäude ist wirklich ein Pracht!

Seit 1999 finden hier interkulturelle Seminare für Jugendliche statt, ebenso wie Weiterbildungen für “Multiplikatoren” interkultureller Arbeit (Veranstalter, Lehrer etc.). Musik- und Theaterworkshops; Video- und Webdesign gibt es das ganze Jahr über. Es bestehen Partnerschaften mit den Schulen der Region, auf deutscher, polnischer und tschechischer Seite, daher auch der Name “Dreieck”, den die Region ebenso wie das Zentrum trägt. “Die Teilnehmer beherrschen immer besser die Sprache des Anderen”, bemerkt Mechthild, und fügt hinzu: “es sind vor allem die Tschechen und Polen, die immer besser detusch sprechen…”

An diesem mehr als sonnigen Sonntag präsentieren Barbara und Elkin eine Vorführung kolumbianischer Pantomimen. Elkin kommt aus Kolumbien und versteht es hervorragend, sein Publikum mit lustigen Gesten und Mimiken mitzureißen. Lustig, für die Kleinen und Großen, aber auch mit ein wenig Ernst. Elkin hofft im Anschluss zum Internationalen Mimenfestival nach Périgueux zu fahren, aber dafür braucht er noch die nötigen Papiere, d.h. die Erlaubnis, sich in unserem ehrwürdigen Europa frei zu bewegen. “Ach ja, die Grenzen…” Was gibt es nicht alles noch zu erzählen! Bei einem Abstecher in ein Café schlagen Barbara und Elkin vor, uns in Görlitz-Zgorzelec wieder zu treffen und den Veloblog-Begegnungstag nächsten Freitag mit zu gestalten. Falls Elkins Behördengänge das erlauben.

Fortsetzung folgt!



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