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Das wäre zu früh gefreut, hatte mich mein Gastgeber aus Forst am Begegnungstag gewarnt, als ich ihm von meiner Idee erzählte, auf ein Boot der Wasserschutzpolizei zu steigen, um bequem die Oder ein Stück herunter zu fahren. Sonntags ist der Chef nicht da, um darüber zu entscheiden. Nun gut. Und die anderen Boote, von Eisenhüttenstadt kommend, fahren im Moment nicht, wie ich am Telefon erfahre: die Oder steht zu niedrig. Ok… tja dann eben auch die nächsten 30 km Radfahrt! Das ist DIE Gelegenheit, die Karten der Arbeitsinitiative Letschin e.V. einzuweihen, die Peter, ein Frankfurter, der am Begegnungstag dabei war, mir netterweise überlassen hat… so tut es mir nicht so sehr um meine eigene Karte leid, die ich neulich irgendwo verloren habe… Apropos Karte: es gibt wirklich nur wenige Karten von der Grenze, auf denen auch praktische Infos zu beiden Seiten der Oder zu finden sind… dies nur ein kleiner Hinweis für diejenigen, die die Zeit aufbringen können, diesem chauvinistischen Ungleichgewicht Abhilfe zu schaffen… Weiter geht´s: diesmal bin ich wieder auf der polnischen Seite. Auch hier gibt es einen Radweg. Wie auch auf der deutschen Seite führt er auf dem Deich entlang. Es gibt viele Angler, mehr als auf der anderen Seite. Nachdem ich die durchaus reizvolle Einladung des ADFC, gemeinsam mit einer Gruppe in Richtung Osno zu fahren, aus Zeitmangel leider ablehnen muß, entscheide ich mich, der Oder zu folgen, in der Hoffnung, Owczary und sein Wiesenmuseum zu erreichen, das mir ebenfalls am vergangenen Abend empfohlen wurde. Nur passiert hier folgendes: nach ca. 15 km ist da plötzlich kein Damm mehr, und auch kein Weg. Nur eine riesige Baustelle, übersät von Pfützen (2, 3, 4). Ich sehe Euch schon schmunzeln… 13 km - um dann mühsam auf feuchtem Sand zu fahren! Das war keine leichte Sache… aber um diejenigen, die sich noch auf den Weg machen werden, nicht zu entmutigen: der Damm soll im Herbst fertiggestellt sein. Nach diesem Rennen passiere ich um 21 Uhr die Grenze in Kostrzyn, nachdem ich diesen riesigen form- und seelenlosen Basar genau unter die Lupe genommen habe, der doch so viele Berliner und andere Kauflustige anzieht, die leicht darauf reinfallen. Geschmäcker und Farben am Ufer der Oder Es braucht schon die Kühnheit von Charlotte, um Berliner zu überzeugen, Anfang August für eine Weile nach Frankfurt/Oder zu kommen. Was bleibt der Stadt, wenn die Europa-Uni Viadrina (dieser Leuchtturm, der die Brandenburger Eintönigkeit erhellt) ohne Studenten dasteht ? Mehr als man denkt. Uns das zu verdeutlichen, war das Ziel der Organisatoren der Stadtrallye, oder eher der Städterallye, denn das ehemalige Viertel Frankfurts, das sich auf der Ostseite des Flusses befindet, wurde zu Słubice, einer polnischen Stadt, die nach 1945 mit Steinen aus Warschau wieder aufgebaut wurde und in der sich Bewohner von Lwow/Lemberg ansiedelten. Inmitten einer deutsch-französisch-polnischen Gruppe konnten wir das heutige Słubfurt mit Archivfotos vergleichen, nach der Art „vorher/nachher“ – wie in einer Werbung für Geschichte. Ein Frankfurter, der sich für das Veloblog begeistert, erzählt uns vom Kino Piast, das tagsüber ein Obst- und Gemüseladen war, von den Straßen Słubices, die den Eindruck vermitteln, Tabak und Friseure wären die Brüste Polens, von der Solarfabrik, die Frankfurt eine Zukunft verspricht… Die für den Abend organisierten Lesungen füllen unsere Geschichtenkammer – Anlass zum Träumen und ein bisschen nachzudenken während der Sommerabende in Berlin, an denen definitiv nicht viel los ist. Ich bin immer noch ganz aufgewühlt, während ich gerade diese Zeilen schreibe. Sie alle waren da um an der Rallye in der Doppel-Stadt teilzunehmen, die kenntnisreich von Maciej und Ela vom Institut für angewandte Gechichte organisiert wurde, anschließend den Stimmen von Frau Schneider, Andreas Peter und Tina Veihelmann zu lauschen, die uns ihre kleinen Geschichten aus der Grenzregion erzählten, und zu guter Letzt, um zu den mitreißenden Rhythmen der Gruppe FeinerArt zu tanzen. Ein wirklich reichhaltiges Programm mit Pausen, um einen Happen zu essen und sich kennen zu lernen und Telefonnummern und Mailadressen auszutauschen, für den Fall, dass man gemeinsame Interessen hat. Ein wahrer Begegnungstag… genau wie ich ihn mir ausgemalt hatte! Für mich persönlich bedeuten diese Begegnungstage vor allem eine Jongliernummer mit mindestens vier Bällen: aufs Wohlergehen eines jeden zu achten, auf den gelungenen Ablauf des Programms, die mediale Berichterstattung über das Ereignis sicherzustellen und darauf zu achten, dass alle gut ans Ziel kommen. Wobei ich dann meinen Ausweis vergessen habe, und das ausgerechnet während der halben Stunde, die ich mir reserviert hatte, um einer der Rallye-Gruppen in der Stadt zu folgen! Selbst nach fast einem Monat des Bummelns von hier nach dort über die Grenze… da kann man nichts machen! Berührend zu sehen, dass jeder andere nette oder interessante Menschen getroffen hat, und entzückt von den ersten Rückmeldungen, daß auch die Frankfurter selbst mir sagen, sie hätten noch etwas dazugelernt. Und nun, zur Essenszeit, bereite ich mich auf meinen Aufbruch vor… auf der Suche nach einem Boot, um die Oder ein Stück weiter runterzufahren oder aber, wenn die sonntägliche Pause dies nicht zuläßt, um auf die polnische Seite zu wechseln und Euch meine nächsten Abenteuer zu erzählen, ordentlich gestärkt durch den Enthusiasmus, der dem Veloblog entgegengebracht wird! Caroline wohnt am Ufer der Oder in einer umgebauten Möbelfabrik, wie mir die Besitzerin der Gebäude, Frau Lucas, so nett erklärt, während sie mich zum Frühstück ins Café einlädt, wozu es ein heimisches Getränk, eine Mischung aus Himbeersaft und Limonade, nämlich rote Brause, gibt. Frau Lucas hat das Familienunternehmen, das 1894 von ihrem Großvater gegründet wurde, zur Zeit der Wiedervereinigung übernommen, oder genauer: sie hat die Gebäude 1993 zurückerhalten, nachdem sie die dafür notwendigen Schritte bei der “Treuhand” eingeleitet hatte, jener Anstalt, die für die Privatisierung und Umstrukturierung der DDR-Unternehmen zuständig war. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Familie Gerstenberg enteignet und ihr Besitz ging in die Hände des kommunistischen Regimes in Ostdeutschland über. Wie viele der “großen Kapitalisten” fand sich die Familie so in einem Umsiedler-Lager in Ostdeutschland wieder. Das war 1953. Frau Lucas war damals neun Jahre alt und kann sich gut erinnern. Als sie wieder die Zügel in die Hand nimmt, vierzig Jahre später, sind die tausenden Arbeiter der Tischlerei verschwunden und nur das Gebäude war übrig. « Es mußte renoviert werden, so konnte es nicht bleiben », sagt Frau Lucas während sie mich durch das Gelände führt. Einiges ist verschwunden, so zum Beispiel der marode Schornstein der Fabrik. Anderes wurde restauriert, wie der Ausstellungsraum mit den zahlreichen Fenstern, der 1911 erbaut und 1998 wiederhergestellt wurde. « Aber dafür braucht es viel Geld und das ist nicht immer leicht. » Die Besetzung der Gebäude versteht sich halb kommerziell halb kulturell, mit einem regen Vereinsleben, wie die Theaterschule, in der man sich noch bis Ende August fürs neue “Schuljahr” anmelden kann. Trotz des Reizes der Örtlichkeiten ist es manchmal schwierig, interessierte Geschäfte zu finden. Frau Lucas überlegt, eine polnische Lebensmittelkette in der Halle anzusiedeln, in der Aldi es nicht geschafft hat, sich dauerhaft zu etablieren. « Vor allem träume ich davon, eine internationale Jugendherberge am Oderufer zu eröffnen », gesteht mir die Inhaberin der Gebäude. Um die sechzig Betten an der Oder, einen Katzensprung vom Grenzübergang entfernt, über den man von Frankfurt nach Słubice gehen kann, und das Ganze in einem industriellen Umfeld vom Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Ziemlich reizvoll! Bleibt die Suche nach geeigneten Investoren, die bereit sind, eine solche Initiative zu unterstützen… Ein erster Schritt in Richtung internationale Herberge? Frau Lucas vertraut mir die Schlüssel des Hauses an, in dem sich das Theater und weitere Büros und Ateliers befinden. Mehrere Räume stellt sie uns vertrauensvoll zur Verfügung, um die Teilnehmer des Begegnungstags unterzubringen. Eine schöne Geste gegenüber dem Veloblog! Dankeschön an Frank, der die Berichterstattung der letzten Abenteuer übernommen hat, während ich die letzten Vorbereitungen für den Begegnungstag in Frankfurt/Oder-Słubice an diesem Samstag getroffen habe. Pressearbeit, die Begegnung mit Vereinen und lokalen Akteuren sowie die Suche nach einer Unterkunft, damit diejenigen, die von weiter weg zu uns kommen, nach der Feier auch ein Dach über dem Kopf haben. Wir verbringen den Abend mit Mitgliedern des Instituts für angewandte Geschichte, in einer Pizzeria in Słubice. Ela und Maciej stellen uns die Stadtrallye vor, die für den Begegnungstag vorgesehen ist und die mit Hilfe von Fotos den Vergleich von Stadtansichten von früher und heute ermöglicht. Die einen erzählen von ihrem Studium an der Frankfurter Universität Viadrina, einer der ältesten der Region, wie uns unsere Gastgeber in Lebus erklärt haben, die anderen erzählen von der Politik der Kaczynski-Brüder und dem Zusammenbrechen der Koalition in Polen. Manchmal auf polnisch, aber meist auf deutsch. Ein schöner Abend, der bei Caroline endet, Mitglied des Instituts und Bewohnerin einer umgebauten Möbelfabrik… Hier schreibt Frank J.: Einer der anderen Gäste des Hauses, Hartmut Schmidt, kommt seit 1947 regelmäßig in dieses Haus, seine Kinder sind hier aufgewachsen und mittlerweile sind auch seine Enkelkinder jeden Sommer hier. Mit Begeisterung erzählen Hartmut und Renate Schmidt von der Geschichte und Gegenwart des Hauses und der Region, dazu gehören Geschichten wie die von Niklas Luhmann, der ein Cousin der Gunte Tietze war und im Hause ebenso zu Gast war wie Gisela May und Katja Ebstein, die bei einem Filmdreh in den Siebzigern vorbeischauten. Aber ebenso wird uns auch die Geschichte der Bleiglasfenster der Frankfurter Marienkirche erzählt, die als Beutekunst nach Moskau und Leningrad gebracht wurden und deren vollständige Rückgabe ein Moskauer Museumsdrache verhindert. Die Rückgabe der Fenster aus der Eremitage führte dazu, dass jetzt in den Fenstern der Frankfurter Marienkirche wieder die selten in Kirchen abgebildete Geschichte des Antichristen zu sehen ist. Solche und andere Geschichten würde man wahrscheinlich nicht erfahren, wenn man sich nicht die Zeit nähme, mit den Leuten zu sprechen - das unterscheidet die Arbeit von Charlotte von einer Urlaubsradtour einerseits und einem Sportprojekt andererseits. Hier schreibt Frank J.: Der Weg von Finkenheerd nach Frankfurt führt durch die Lossower Berge, deren Anstieg weniger schlimm ist als gedacht und der durch die schöne Abfahrt (!) mehr als aufgewogen wird. Die Durchfahrt von Frankfurt wird begleitet durch Kommentare der Bevölkerung („Guck mal, da hat die Mutti mehr Gepäck wie der Vati.“) und wahrscheinlich wird Charlotte damit das erste Mal älter geschätzt als sie ist. Da die verbleibende Strecke von Frankfurt bis zur Ostsee doch länger ist als gedacht und weniger Zeit pro Kilometer zur Verfügung stehen wird, haben wir uns entschlossen, Lebus vor Frankfurt einen Besuch abzustatten, damit Charlotte nach dem Begegnungstag hier keinen Zwischenstopp einlegen muss und Lebus dennoch angemessen Erwähnung findet. Der Weg von Frankfurt nach Lebus gestaltete sich schwieriger als gedacht. Einerseits aufgrund mangelnder Ausschilderung (die wir mit Hilfe reizender Einheimischer überwanden, die extra um uns den Weg zu zeigen ihre abendliche Spazierfahrt ausgedehnt haben) und andererseits aufgrund mangelnder Alternativen: die Landstraße nach Lebus ist gesperrt, weil (Tada!) ein neuer Radweg parallel zur Straße gebaut wird. Da dieser aus EU-Mitteln finanziert wird, ziehen sich die Bauarbeiten seit einiger Zeit und auch länger als nötig hin. Hier schreibt Frank J.: In der näheren Umgebung von Brieskow-Finkenheerd gibt es zwei Baggerseen, die durch einen Kanal miteinander verbunden sind. Wir steuern gemäß der Empfehlung der Freiwilligen Feuerwehr zunächst auf den touristisch sehr gut erschlossenen Helenesee zu. Nach kurzer Fahrt über den Campingplatz beschließen wir, die Alternativen zu diesem zu sichten. Wir stellen jedoch fest, dass der Campingplatz und damit auch der See durch einen Zaun inkl. abgeschlossenem Tor begrenzt wird. Erfreulicherweise sind wir nicht die Ersten, die das ärgert, so dass der Zaun schon einige Dellen aufweist, über die wir unsere Räder wuchten können. Nach einiger Tortur durch Sandstrecken werden wir am Katjasee mit Ruhe, kalten klarem Wasser, einem schönen Sonnenuntergang und Mücken belohnt. Nach Einbruch der Dunkelheit sehen wir neben „Schnuppersternen“ auch eigentümlich unregelmäßig Blitze am Nachthimmel. Da wir anfangs ein Gewitter aus heiterem Himmel befürchten, bauten wir das „Zelt“ auf, um unser Gepäck und ggf. auch uns vor dem Regen zu bewahren, wobei es sich wohl dann um eine „Entweder-Oder-Lösung“ handeln würde. Dabei entwickelt sich folgende Fragstellung: „Ist es in Deutschland erlaubt, ohne Zelt an einem See im Schlafsack zu übernachten?“ Vermutlich lässt sich dass nicht bundesland- bzw. seenübergreifend beantworten, aber falls sich jemand damit auskennt, würden wir uns über einen Kommentar freuen. Und hier nun der bisher kürzeste Eintrag im Veloblog, um Frank, dem Webmaster des Veloblogs, den Staffelstab zu überreichen. Frank ist gekommen, um mir bei der Vorbereitung zum zweiten Begegnungstag am Samstag in Frankfurt/Oder - Słubice zu helfen. An dieser Stelle gestatte ich mir, den Journalistenkollegen kleine Geschichten zu erzählen, solche die man mir erzählt ebenso wie die des Veloblog. Das kann man alles in unserer Presseschau entdecken, wo man die Reise dank der Berichte von Frank mitverfolgen kann. Doppelt soviel Lesestoff für alle Veloblog-Begeisterten. Es wird Zeit, von Peter und seinem wunderbaren Garten Abschied zu nehmen. Nach einem Treffen mit der Märkischen Oderzeitung packe ich meine Sachen zusammen und mache mich wieder auf den Weg, voller Dankbarkeit gegenüber meinem Gastgeber, der gerade dabei war, seine Waschmaschine in Gang zu setzen, um meine Minimalisten-Garderobe wieder frisch zu machen! Bleibt gerade noch Zeit, durch das Nachbardorf Aurith zu fahren. Das Restaurant „Zur alten Fähre“ ist geschlossen. Schade, es scheint, dass man hier gerne über das Projekt einer Brücke oder Fähre über die Oder in Richtung der Nachbargemeinde Urad spricht. Einige Meter weiter, direkt vor einem Erdwall entlang der Oder, verkündet ein riesiges Schild auf dem Weg den Radfahrern etwas völlig anderes: keine Brücke, sondern eine Fähre, um die Natur zu bewahren. Der Anfang ist gemacht. Kommt also alle am Samstag nach Frankfurt/Oder – Słubice zu unserem zweiten Begegnungstag: Um 20 Uhr wird die Journalistin Tina Veihelmann Auszüge aus ihrem Werk „Aurith – Urad, zwei Dörfer an der Oder“ lesen, eine Nahaufnahme des Alltags der beiden Grenzorte, zwei Welten – fremd und ähnlich zugleich. |